Abtauchen in Qeshm

1 Sept

Nach den Querelen mit dem iranischen Geheimdienst und der frustrierenden Arbeit am Auto erschien es uns sinnvoll, erstmal Abstand zu gewinnen und mit dem Fernbus zu verreisen. Es ging in das 600km entfernte Bandar Abbas, von wo aus wir mit dem Boot nach Qeshm, der größten Insel im Persischen Golf, reisen wollten. Wikipedia hätte uns hier wie so oft helfen können: „Bandar Abbas ist ein beliebtes Winterreiseziel der Iraner, da die Temperaturen im Winter bei angenehmen 25° bis 28 °C am Tag liegen, während sie im Sommer durchaus bis zu 49 °C ansteigen können. Hinzu kommt dann eine unerträgliche Schwüle.“ Hätten wir doch mal reingeschaut…

Hier im Süden des Landes merkt man die Einflüsse der strenger ausgelebten Religion und der Nachbarländer Pakistan und Afghanistan. Viele Menschen der Nachbarstaaten finden hier Arbeit. Für uns waren zunächst ihre andere Kleidung und die dunklere Hautfarbe zu erkennen. Vereinzelt trugen ältere Frauen als Zeichen ihres Wohlstandes metallene Gesichtsmasken, die uns in Kombination mit der Burka stark an Darth Vader aus Star Wars erinnerten.

Ach ja die unglaubliche Hitze. Wer schon mal zu Unzeiten in Dubai war, hat eventuell eine Vorstellung wie unerträglich es in Bandar Abbas bereits morgens um vier ist. Was wäre also wohl der beste Ort, um die vier (!) Stunden bis zur Abfahrt unsere Bootes zu überbrücken? Der überdachte Fischmarkt von Bandar Abbas. Kurz vor Sonnenaufgang wird hier der frisch gefangene Fisch präsentiert und verkauft. Doch leider waren die Verkaufshallen nicht wie erwartet klimatisiert. Der Fisch lag bei Außentemperatur auf geschmolzenem Eis, was uns zusätzlich noch olfaktorisch belastete. Für uns ein klarer Fall für das städtische Veterinäramt. Als Lukas dann noch einen gesunden Schwung lauwarmen Eiswassers ins Gesicht bekam, da ein Verkäufer seinen Riesenfang unsanft auf die Theke warf, machten wir uns auf den Weg zum Hafen.

Hier kauften wir vier Tickets, denn unser Freund Sattor aus Yazd sollte in den nächsten Stunden zu uns stoßen. Bei seinem Onkel und seiner Tante sollten wir alle wohnen. Die Zeit bis dahin verging nur sehr langsam. Gefühlt verging sie gar nicht. Die einzige klimatisierte Institution weit und breit war ein Kiosk, der aber geschlossen hatte. Bis um acht Uhr saßen wir auf irgendeiner Bank im Schatten. Wir versuchten aber dabei die Sitzgelegenheit so wenig wie möglich zu berühren, weil man das Gefühl bekam, dass einem durch alles was man berührte noch heißer wurde. Als wir kein Wasser mehr hatten, gingen wir in Richtung Stadt und gezwungenermaßen wieder an dem Kiosk vorbei und bemerkten, dass er nun tatsächlich geöffnet hatte. Hier warteten wir den Rest der Zeit bei gefühlten 5°C bis Sattor uns fand und wir gemeinsam auf das Boot stiegen. Auf der angenehmen Fahrt nach Qeschm standen wir die meiste Zeit draußen an der Reling, genossen den Wind und staunten über abtauchende Wale. Wir erzählten Sattor scherzhaft, dass dies für Max ein Höhepunkt sei, da er ein wirklich passionierter Angler sei, doch er verstand die Ironie nicht und anstatt die Sache richtig zu stellen, beließen wir es dabei. Dann war Max eben ein wirklich toller Angler.

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Die Insel, die in der Seestraße von Hormus liegt, ist seit 1991 eine der größten Sonderwirtschaftszonen zwischen Europa und Fernost. Viele arabische Geschäftsleute aus Dubai oder dem Oman – Luftlinie 70km – die Insel nutzen, um beispielsweise Konten zu eröffnen und Handel zu treiben, ist die Qeschm politisch stark mit der Regierung des Festlandes verbunden, um sicherzustellen, dass sie weiter Öl und Gas im Persischen Golf fördern dürfen.

Pizza Hat

 

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Bei unserer Ankunft stiegen wir in ein vollklimatisiertes bayerisches Automobil und fuhren in ein ebenso klimatisiertes Haus. In der zweiten Etage befanden sich zwei spiegelgleiche Wohnungen, in der auf der einen Seite Sattors Tante mit Ehemann und jungen Kindern wohnte, während auf der anderen Seite ältere Cousinen und Cousins wohnten. Unser Refugium befand sich in der Jugendwohnung und war wieder einmal das Wohnzimmer, wo wir es uns auf Teppichen und Kissen gemütlich machten. Zum Abendessen kamen alle Familienangehörigen in unser Wohnzimmer rüber und es wurde eine gummierte Tischdecke auf dem Boden ausgebreitet, wie man sie auch auf Gartentische legt. Sattor erzählte seinem Onkel, der nebenbei bemerkt leidenschaftlicher Angler ist, dass einer seiner Gefährten, die hier zufällig an der Tischdecke saßen, auch ein wahnsinnig begeisterter Angler sei und sich nichts schöneres vorstellen könnte, als in der brüllenden Hitze Angeln zu gehen. Das freute den Onkel natürlich sehr und er wollte gleich nach dem Essen mit uns los. Wir protestierten. Es sei unerträglich und wir seien übermüdet. Also gut, sagte der Onkel und schlug vor, dass wir uns ausruhten und um Mitternacht aufbrechen sollten. Da wir gute Gäste sein wollten, kamen wir aus der Nummer nicht mehr raus und nahmen das Angebot an. Also fuhren wir drei gemeinsam mit Sattor und dem Onkel um Mitternacht los zum Quai. Wir parkten das Auto und stiegen aus. Uns traf sofort der Schlag – selbst jetzt nach Mitternacht war es unerträglich schwül und die Tatsache, dass wir nun direkt am Wasser standen, machte es nicht besser. Man lief den Anleger hinunter vorbei an trockengelaufenen Schiffen und Lastenkänen bis zum Ende und wir waren nicht die einzigen Verrückten hier: es gab neben den sich unverschämt anbiedernden Katzen und den seltenen und wegen ihrer Panzer wertvollen Karettschildkröten tatsächlich noch Angler. Ein Blick in ihre Eimer verriet uns jedoch, dass wir nicht nur eine quälend heiße, sondern auch wahnsinnig erfolglose Nacht vor uns hatten. Als wir nach den strapaziösesten, schwülsten und  windstillsten drei Stunden unseres jungen Lebens endlich einen wirklich erbärmlich kleinen Fisch gefangen hatten, wurde dieser von allen Anglern in den Himmel gelobt („Mashallah!“, „Wie Gott will!“) und der Onkel gab sich zufrieden. Schließlich musste er uns ja etwas bieten. Es war so weit, wir packten unsere Sachen. Wie eine eiskalte Flasche Weißbier, die man im Hochsommer an einem schwülen Tag in die Sonne stellt war das Auto von der Restkälte der Klimaanlage von außen so tropfnass geschwitzt, sodass wir die Scheibenwischer unseres bayrischen Mobiles betätigen mussten, bevor wir losfahren konnten. Zuhause angekommen planten wir den nächsten Tag und gingen schlafen.

Wir fuhren gemeinsam mit Sattor die Küste entlang, vorbei an einer Bohrinsel zu einer verlassenen Höhlensiedlung, die komplett in einen Berg gehauen war. Danach ging es weiter zu einer alten Festung. Da sie an der Küste lagen, war auch in dort das Klima wieder unerträglich. Ob das Wetter im Jahre 1621 besser war als die Portugiesen hier landeten? Vielleicht hatten sie auch andere Beweggründe.

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Weiter im Landesinneren der Insel erkundeten wir den Grand Canyon von Queshm: das Sternental. Die Luft war hier längst nicht mehr so feucht wie an der Küste, welches das Herumklettern auf den Felsen bei 45°C erstaunlich angenehm erschienen lies. Der einzige Mensch, welcher uns in dieser idyllischen Einöde begegnete war ein älterer Kameltreiber in Begleitschaft seiner vier Kamele.

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Da die Insel nicht nur für ihre außergewöhnliche Flora und Fauna an Land bekannt ist (in Cassells Bibel wird Qeshm als der Ort an dem der Garten Eden sein soll beschrieben), hatten wir am Morgen beschlossen, schnorcheln zu gehen. Bald war eine Tauchschule gefunden, die uns das Equipment auslieh, sodass wir für die nächsten Stunden in die Unterwasserwelt eintauchen konnten. Da uns das Schnorcheln so viel Spaß bereitete, entschlossen sich Yorck und Lukas dazu, einen Tauchkurs zu machen. Max und Sattor rieten jedoch von der aktuellen Tauchschule ab, da das Material wirklich nicht in bestem Zustand zu sein schien, die Preise verhältnismäßig hoch schienen und zudem niemand englisch sprach. In der Tauchschule nebenan sprach auch niemand auf Englisch aber die Ausrüstung machte einen besseren Eindruck und wir einigten uns auf einen guten Preis für einen dreitägigen Kursus mit fünf Tauchgängen. Zudem durfte Max immer mittauchen und erhielt einen Rabatt, da er zu dem Zeitpunkt schon 150 Tauchgänge gemacht hatte. Am ersten Tag konnte Sattor uns noch beim Übersetzen helfen, doch er musste bald zurück nach Yazd um zu arbeiten. Wir zogen auch in ein nahegelegenes Hotel und waren nun mit unserem Talent allein. Nach einem kurzen obligatorischen Check-up bei einem Arzt durfte es dann offiziell losgehen.

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Gott sei Dank hatten wir Max bei uns, der uns mit seiner Erfahrung helfen konnte, wenn die Verständigung mit Händen und Füßen nicht ausreichte.  Nach ein bisschen Schnorcheln und anprobieren der richtigen Maske machten wir einen ersten Tauchgang in dem Riff, das wir tags zuvor bereits erschnorchelt hatten. Der Unterschied war dennoch enorm. Anstatt alles aus der Vogelperspektive zu beobachten schwebten wir nun dreidimensional im Raum und konnten uns frei bewegen. Nur vor den Adlerrochen sollten wir aufpassen hatte uns der Tauchlehrer zu verstehen gegeben. Der zweite Tauchgang erfolgte später am Nachmittag nachdem wir ein bisschen Theorie beigebracht bekommen hatten. Es gab extreme Strömungen und hohen Wellengang, sodass wir uns an der Ankerleine festhalten mussten, um nicht weggespült zu werden. Als wir den Anker erreichten, tauchten wir weiter geradeaus am Grund entlang gegen die Strömung. Unsere Luft ging uns dabei ziemlich schnell aus, da wir wie wild strampeln mussten, um überhaupt vorwärts kommen. Anscheinend müssen wir dabei aber einen verdammt guten Eindruck auf unseren Instruktor gemacht haben, denn für den nächsten Tag bestellte er uns für vier Uhr morgens ein. Wir sollten raus zu dem Wrack einer alten Bohrinsel fahren. Nach ein wenig Theorie-Input lernten wir einen deutschen Nahost -Journalisten mit seiner Frau und Tochter Madita kennen, die auf Qeschm Urlaub machten. Der Strandbudenbsitzer war selbst ein halber Deutscher, der vor einigen Jahren aus dem Iran geflohen war. Seine spektakulärer Geschichte hat er in einem Buch niedergeschrieben. Als er uns sein Motorrad auslieh, fragte uns der Journalist, ob wir seine Madita nicht mal mitnehmen könnten. Schließlich sei sie noch nie Motorrad gefahren und er selbst könnte es nicht.

Die Entscheidung das Frühstück gegen 20 Minuten mehr Schlaf zu tauschen machte sich bezahlt, da wir bei zwei Meter hohen Wellen auf einer Nussschale à la Lampedusa etwa eine Dreiviertelstunde zu der Stelle fuhren, an der die Bohrinsel versunken war. Als wir an einer Boje festmachten und das Boot keine Fahrt mehr hatte, wurde es erst richtig unruhig. Jetzt galt es die Ausrüstung mit samt 8kg Bleigewichten, Tauchweste, Flasche, Maske und Flossen anzuziehen, ohne dass einem schlecht wurde oder man versehentlich frühzeitig das Boot verließ. Als wir uns mit der typischen Methode mit dem Rücken zuerst (wir müssen wieder so professionell ausgesehen haben!) in die Wellen platschen ließen, sind wir direkt auf drei Meter abgetaucht, um den Wellen nicht länger so stark ausgesetzt zu sein.  Durch die raue See befanden sich allerhand Schwebstoffe im Wasser, sodass die Sicht kaum drei Meter betrug. Dennoch ließen wir uns von unserem Lehrer treu in die Tiefe schicken. Hier und da tauchten aus der Dunkelheit vor einem große Fische auf, die sich anscheinend so wie wir erschraken als wir sie zu Gesicht bekamen. Plötzlich erschien vor uns das Wrack. Wir waren nun auf 15 Meter tiefe und die Sicht betrug etwa zwei Meter – wir gingen noch tiefer herunter. Als wir auf dem Boden angekommen waren, zeigte die Uhr unseres Lehrers 28m Tiefe und wir hatten Mühe, uns in der Dunkelheit nicht zu verlieren. Dass wir uns jetzt besonders konzentrieren mussten, um bloß keinen Fehler zu machen, war uns klar. Dass unser Lehrer aus der Sicht von erfahrenen europäischen Tauchern verantwortungslos gehandelt hat und zwei so unerfahrene Taucher auf 28m Tiefe überhaupt nichts verloren haben,  war uns nicht bewusst. Nichtsdestotrotz schafften wir es wohlbehalten an die Oberfläche zurück und fuhren zu einem anderen Korallenriff, wo sich der Begleiter die Harpune schnappte und kurzerhand das Mittagessen erbeutete. Danach lernten wir in der Tauchschule die Basics über Dekompressionszeiten und nachdem Yorck und Lukas zwei Aufgaben gerechnet hatten ohne dabei allzu häufig in das Lehrbuch zu spinxen, gab uns der Lehrer zu verstehen, dass wir fertig seien. Wir verstanden zunächst nicht was er uns sagen wollte – er meinte, wir hätten unsere Prüfung zum Open Water Diver nun bestanden. Daraufhin gönnten wir uns erstmal eine der besten Wasserpfeifen mit dem dichtesten Rauch, den wir auf der gesamten Reise bekamen. Uns wurde erklärt, dass dies mit der Tatsache zusammenhängt, dass der Tabak, der in den Cafés auf Qeschm benutzt wird, aus dem arabischen Raum kommt und  deshalb besser sei. Wir glaubten den Leuten, da Iraner normalerweise kein gutes Haar an Arabern lassen.

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Am Abend besuchten wir ein Konzert eines wohl wirklich bekannten Sängers, dessen Namen wir gleich wieder vergaßen. Der Andrang war enorm und wir hatten sogar große Mühe mit unserem Wessi-Bonus eine Karte zu ergattern bzw. uns an den Türstehern vorbeizumogeln. Es war weniger die Performance an sich, welche spannend war, sondern vielmehr das Drumherum, die Art und Weise, wie das Konzert organisiert und durchgeführt wurde und das Verhalten des Publikums an sich. Zunächst sollte man erwähnen, dass dieses Spektakel kein Konzert war, wie wir es uns bei Robby Williams vorstellen würden. Es hatte mehr etwas vom Musikantenstadl, wo aber der gesamte Publikumsbereich nicht mit Bier(!)-Bänken sondern den aus dem Freibad an der Pommesbude bekannten weißen Sitzgelegenheiten bestuhlt war. Kein Mensch durfte stehen. Die Gefahr, dass jemand auf die Idee kommen könnte zu tanzen, war zu groß und dieses Risiko wollte man einfach nicht eingehen. Was man jedoch wissen sollte, ist, dass Iraner einfach nicht mehr stillhalten können, wenn sie Musik hören und dass die besagten Plastikstühle nicht viel Gewackel aushalten. Wir nahmen also einen Platz auf den hinteren Stühlen ein, um möglichst viel vom Publikum sehen zu können. Ein paar Reihen vor uns war eine Familie mit einem Kleinkind, welches immer wieder auf den Knien der Eltern stand und tanzen wollte. Jedes Mal wenn ein Aufseher dies sah, gab er der Familie zu verstehen, dass sie unverzüglich damit aufhören sollten. Auch ein Jungspund weiter vorn beobachtete die Ordner immer genau und stand in den richtigen Momenten auf und begann mutig und stellvertretend für alle zu tanzen, was ihm frenetischen Beifall bescherte. Der Rest schaukelte so gut es ging mit. Natürlich konnte der Herr nicht lange ungesehen bleiben und er wurde ermahnt. Beim zweiten Mal wurde er dann rausgeschickt.

2013-09-21 23.54.10

Video des Konzerts

Uns wurde die Unterdrückung eines Volkes in Form der Unterdrückung der ganz offensichtlichen Leidenschaft zur Musik noch einmal sehr bildhaft vor Augen geführt; sie manifestierte sich in der bildhaften Fesselung an die weißen Plastikstühle. Nach dem Konzert fuhren wir zu einem alten portugiesischen Fort und gingen nebenan in ein Fischrestaurant, wo wir wiedermal köstliches frisches Brot und dazu drei verschiedene Fischdips bekamen. Am nächsten Morgen fuhren wir wieder mit dem Bus nach Shiraz, wo Susi schon sehnsüchtig auf uns wartete.

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