Ankunft in der Wüstenstadt – Yazd

22 Okt

Susi war durch die vielen eher erfolglosen Werkstatt-Besuche sehr gestresst und benötigte ein paar Tage Erholung. Rücksichtsvoll beschlossen wir daher unsere angeschlagene Dame für ein paar Tage in Shiraz sich ausruhen zu lassen und ohne sie eine Reise ins nahegelegte Yazd anzutreten. Schweren Herzens suchten wir also ein alternatives Transportmittel für die ca. 450 Kilometer. Wegen der fehlenden Zug- und überteuerten Flugverbindung, beschlossen wir mit dem Bus zu reisen. Für stolze 2.5 € pro Person gönnten wir uns einen VIP-Bus, welcher über Nacht die Strecke fahren würde.

Die Sitze waren angenehm breit, der Bus auf frische 18 Grad gekühlt und es lief keine nervige Karaoke -Musik während der Fahrt, wie man es aus Langstreckenfahrten aus Südost-Asien gewohnt war. Zudem gab es reichlich kostenlosen Tee und Wasser. Gut gelaunt und etwas müde gönnten wir uns mehrere Gläser und fielen in einen wunderbaren Schlaf. Unsere maslowschen Grundbedürfnisse waren vorerst erfüllt. Jedoch befahl uns unser Körper recht bald, dass wir den Schlaf beenden und uns einer anderer Tätigkeit widmen sollten. Entweder haben die Iraner eine Blase in der Größe eines Basketballs oder sie verzichten vorausschauend auf die kostenlosen Getränke. Weshalb? Weil es in der knapp sechs Stunden langen Fahrt keinen Toiletten-Stop , geschweige denn eine Bordtoilette, gibt…

Unsere Aufregung verflog jedoch beim Anblick des phantastischen Stadtbilds Yazds in dieser frühen Morgenstunde. Die aus der Wüste auftauchende Sonne warf ihren gold-roten Schleier und erzeugte eine mystische Morgenröte. Die vielen Minaretten waren bereits angestrahlt, während die ründlichen Dächer der Häuser noch auf ihren Sonnenglanz warteten. Die Häuser der Stadt haben einen Lehm-Ton als Wand- und Dachfarbe, uns sehen aus, als seien sie ein natürlicher Teil dieser friedlichen Wüstenlandschaft. Ein wirklich märchenhaftes Erscheinungsbild.

Und in dieser wunderbaren Stadt wohnen unsere Freunde, welche wir im Thermalbad in Sarayi kennen gelernt hatten. In einem Auto, der im Iran sehr stark vertretenen Automarke SAIPA, holte uns Saied und Mustafa frühmorgens im Stadtzentrum ab. Da wir von unser kurzen Nacht berichteten, bot Saied sofort an, zu ihm nach Hause zu fahren, zu frühstücken und uns auszuruhen. Ein präzise formulierter Plan, welcher uns sofort zusagte.

Als Schlafquartier wurde uns der größte Raum des schicken einstöckigen Hauses zur Verfügung gestellt – das Wohnzimmer. Erschöpft legten wir uns auf die für uns ausgebreiteten Futons. Saied beschloss kurzer Hand sich auch eine Matratze dazu zu legen, sodass wir zu viert uns einen verfrühten Mittagsschlaf gönnten.

Geweckt wurden wir durch die Stimmen der anderen Jungs. Die Uhr zeigte auch kurz nach ein Uhr, welches bedeutete, dass die vierstündige Mittagspause der arbeitenden Bevölkerung begannen hatte. Nach und nach traf die ganze Rasselbande bei Saeid im Wohnzimmer an. Mustafa war wieder da, gemeinsam mit seinem Bruder Ahmad und seinem Cousin Akbar, Hussain kam auch dazu und Saieds Vater, Ali, lernten wir nun auch endlich mal kennen.

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Außerdem hatte Ahmad, welcher beruflich Fotograph und Kick-Box-Lehrer ist, eine Santur mitgebracht. Santur, nicht Sanduhr. Dies ist eine Art Glockenspiel, auf einem Trapez-förmigen Kasten. Mit einem filigranem Holzschlägel spielt/haut man auf gespannte Saiten und kann bis zu 30 verschiedene Töne erklingen lassen. Nach einer kurzen Einführung in die klassische Welt der Santur, durften wir unser Glück versuchten. Max und Yorck schien das improvisierte Spielen eher zu zusagen, während Lukas sich mit dem korrektem Musizieren der vorgegebenen Melodie und Noten versuchte. Santur ist ein spaß für die ganze Familie!

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Nach der ausgiebigen Mittagspause brachen alle Parteien auf. Für uns ging es in das Stadtzentrum von Yazd. Da Saeid etwas außerhalb der Stadt wohnt, in dem Ort Zarch, benötigt man 30 Minuten Autofahrt nach Yazd. Diese fährt Saeid mehrfach täglich, um zeitig auf der Arbeit zu erscheinen. Jedoch erlaubt ihm seine Position als Führungskraft in der kleineren Firma, welche Finanz-Software programmiert und verkauft, recht flexible Arbeitszeiten zu haben. Saied war so lieb für unseren ersten gemeinsamen Sightseeing-Ausflug eine Dolmetscherin zu mobilisieren, um ein unmissverständliches Kommunizieren zu ermöglichen. Mit der Dolmetscherin im Schlepptau ging es dann zur Jāmeh Mosque – der Freitagsmoschee und eines der Wahrzeichen der Stadt.

DSC_0097Freilich hat man von dem großem Platz vor der Moschee eine feine Sicht, jedoch beschloss Saeid uns einen noch exklusiveren Ausblick zu bieten. Ziel war das Dach eines ebenfalls am Hauptplatz gebauten Hauses – das schräg gegenüber liegenden Sayyid-Rukn-ad-Din-Mausoleum. Zwar gibt es dort keinen offiziellen Aufgang auf das Dach des Mausoleums, jedoch konnte Saeid einen religiösen Mitarbeiter tatsächlich bereden uns den Zutritt zu gewähren. Saeid berichtete uns, dass er uns als angereiste muslimische Pilger vorgestellt hatte, welche mit dem Auto die islamische Republik Iran bereisten. Eine andere Ausrede wäre im sehr religiösen Yazd wahrscheinlich nicht so erfolgreich gefruchtet.

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Nun ging es runter vom Dach und ab in die vielen engen Gassen der angeblich zweitältesten Stadt der Welt (die einzig ältere erhaltene Stadt der Welt ist laut unser yazdi Freunde Venedig). Die warmen, aber trockenen, 38 Grad Celsius sind in den mit Wind durchwehten Gassen gut ertragbar. Zudem haben sich die Städteplaner vor mehren hundert Jahren ein ausgefuchstes Wassersystem entwickelt, welches an die Raffinesse der römischen Aquädukte-Bauer erinnert. Kaltes Wasser ist in so heißen Regionen natürlich ein sehr wertvolles Gut, welches gut aufbewahrt werden musste. Unter vielen Gebäuden befinden sich riesige Wasserspeicher, welche durch ein unterirdische System miteinander verbunden sind.

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Einer dieser Wasserspeicher befindet sich unter der Trainingshalle der „Zurkhaneh“-Sportler. Zurkhaneh ist ein traditioneller kreisförmiger persischer Fitnessraum, in dem Männer die iranische Kraftsportart Pehlwani ausüben. Pehlwani diente früher bereits zur geistlichen und körperlichen Ertüchtigung, wurde jedoch nach der Eroberung Persiens durch die Araber, zwischenzeitlich verboten.

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Ähnlich wie in einem modernem Fitnessstudio, werden im Zurkhaneh nach einer ausgiebigen Aufwärm-Einheit verschiedenste Kraftübungen ausgeübt. Unteranderem werden wie beim Gewichtheben, Gewichte in die Höhe gestemmt und dort gehalten. Jedoch handelt es sich hier nicht um die handelsüblichen Gewichtsstangen, inklusive verschiedensten Gewichten. Nein! Es handelt sich hierbei um über dimensional große Kegel, wie man sie aus dem heimischen Kegelverein zu genüge kennt. Mit einer geübten Körperbewegung kann man diese kinder-großen Kegel über seine Schulter wuchten und dann mehrfach auf und ab heben. Ähnlich vorgegangen wird mit der breiten langen Metallkette, welche man mit einer Ankerkette von großen Frachtern assoziiert. An dieser Kette sind zudem noch ein paar Klingeln befestigt, welche ein rhythmisches Rascheln hervorrufen, wenn man das schwere Konstrukt über seinem Kopf von rechts nach links schwingt.

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Das Substitutionsgut der vielen Fernseher und Musiklautsprecher westlicher Fitnessstudio ist der Trommler des Pehlwani. Er gibt mit seinem lautem trommeln den Takt vor, zudem die Sportler ihre Liegestütz und Hebeübungen voll üben. Abpropo Liegestütz! Nachdem die Sportler sich am Gewichte heben verausgabt hatten, folgten unzählige Liegestütz-Einheiten. Jung oder alt wurden zum Liegestützen absolvieren aufgerufen. Und wer nicht mehr konnte, machte auf seinen Knien die restlichen 200+ Liegestütz. Ein endloser Prozess, welcher von dem lauten Takt der erwärmten Trommel dirigiert wurde. Dum, dum, dum, dum…

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Weiter durch die kühlen Gassen, auf dem Weg zum Bazar. Der überdachte Markt in Yazd ist doch anders, als die bisher gesehenen Bazare. In Esfahan stand der Teppichhandel im Vordergrund, in Shiraz die Mode, in Tehran die Gewürze und in Yazd die Töpferei. Wobei es hierbei um Kupfertöpfe handelte, welche über einer offenem Flamme geformt werden. Anschließend werden sie von meist sehr alten Männern mit einem Hammer bearbeitet. Ein geschultes Auge weiß jedoch auch hier zu unterscheiden, zwischen einem handgefertigtem gehämmerten Kupfertopf oder einem maschinell angefertigtem Kupfertopf, welcher nur durch ein paar wenige Hammerschläge optisch verfeinert werden sollte. Bei der Wahl des Topfes ist daher Obdacht geboten!

Wir konnten uns leider für keinen Topf entscheiden und beschlossen daher nicht das Weite, sondern das Hohe aufzusuchen. Gemeinsam mit dem dazu gestoßenem Akbar, suchten wir einen Weg auf die Dächer des Bazars. Nachdem der Schlüssel für den Dachzugang nicht, wie versprochen, beim Obsthändler aufzufinden war, wurden wir zum Friseur-Salon geschickt, welcher uns weiter zum Metzger entsendete. Tatsächlich. Der mit Blut überströmte Metzger des Bazars, selbstverständlich kein Schweineblut, hatte den einzigen Schlüssel für den kleinen Treppenaufgang zum Dach und begleite uns zur entsprechenden Tür.

DSC_0310Wow! Wo waren wir hier gelandet? Wie in einem persischem Märchenbuch! Wir sprangen über die Dächer wie einst Aladin oder der Charakter aus dem verfilmten Computerspiel Prince of Persia. Von Dach zu Dach und von Kuppel zu Kuppel hüpften wir vor dieser traumhaften Kulisse. Umgeben von Minaretten, Moscheen und Badgirs genießten wir den Moment und diskutierten über die Surrealität dieses Augenblickes.

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Ach ja, was ist ein Badgir? Dies ist eine simple, doch sehr raffinierte architektonisches Kreation, um die Häuser und Gassen zu kühlen. Eine Art mittelalterliches Ventilationssystem. Wie kleine Leuchttürme ragen sie aus vielen der Häuserdächer hervor, und lassen den Wind durch ihre Öffnungen hinein wehen. Ein Badgir („windcatcher“) hat mehrere Lüftungsschächte, welche in die vier verschienden Himmelsrichtungen ausgerichtet sind. Auf der einen Seite wird der Wind hinein geweht und auf der gegenüberliegenden Öffnung wird die im Haus stehende Luft hinaus getrieben. So entsteht in dem Haus immer ein frische Windzug, selbst bei 50 Grad Außentemperatur. Ein System, welches den Einwohner von Yazd seit über tausend Jahren eine frische Briese ermöglicht.

DSC_0300Unseren Gastgebern gegenüber konnten wir unsere Faszination nicht verstecken, sodass sie uns anboten uns am Abend den größten Badgir der Welt zu zeigen. Wir waren begeistert und erblickten wenige Stunden später einen riesigen Turm, welcher durch das Einfangen des Windes eine gewaltige Menge an unterirdisch gelagertem Wasser kühlte. Herr Altmaier aufgepasst; komplett ohne Strom! Leider konnten wir uns nicht den Windkanal selber stellen, um die Kraft des gebündelten Windstroms zu spüren. Stattdessen schlenderten wir noch friedlich mit unser einheimischen Jungstruppe um den Badgir und freuten uns auf weitere spannenden Eindrücke.

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Eine Antwort to “Ankunft in der Wüstenstadt – Yazd”

  1. Heike N. Oktober 22, 2013 um 7:46 pm #

    Jedesmal wenn ich eure tollen Reiseberichte lese, bin ich entweder mitten im einem James Bond Film oder in Tausend und einer Nacht gelandet. Wunderbar was ihr für tolle Menschen kennengelernt und alles erlebt habt. Viele liebe Grüße aus Lippstadt

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