Alkoholisiertes Feiern im restriktiven Iran

9 Okt

„Es ist wahrscheinlicher in der Ausgrabungsstätte Persepolis Bademodels zu finden, als in Shiraz einen Shiraz Wein“

Iran – Reiseführer für individülles Entdecken

Die Autoren dieses Reiseführers sind entweder außerordentlich kontaktscheu oder haben auf ihrer Iranreise die Stadt Shiraz übersprungen. Der Shiraz Wein gehoert zu der Stadt, wie das Kölsch zu Köln. Klar, das köstliche rötliche Getränk steht nicht in jedem Supermarkt, Restaurant oder Getränkemarkt offensichtlich zur Schau. Doch so wie alle Wege nach Rom führen, führten uns alle Shirazi (Bewohner der Stadt Shiraz) zum Wein.

IMG_0684

An unserem zweiten Abend in Shiraz waren wir zu einer Houseparty eingeladen. Als wohlerzogene junge Männer haben wir selbstverstaendlich auch ein erfreuliches Gastgeschenk mitgebracht – 2 Flaschen Rotwein. Die Flaschen haben wir kurz davor über kennengelernte Iraner erwerben können. Wobei zu erwähnen ist, dass man Rotwein auf dem iranischen Schwarzmarkt nur in 1.5 Liter Plastikflaschen erwerben kann. Wir waren jedoch nicht die einzigen höflichen Gäste. Es schien als hätten alle 15-20 Partyteilnehmer ähnliche Mengen an alkoholisierten Getränken mitgebracht. Nur die beschränkte Auswahl an Getränken spiegelte die Restriktion der Islamischen Republik wieder. Es gab tatsächlich nur Rotwein und Aragh. Beide Spirituosen sind im Iran fast nur selbstgebraut wiederzufinden und bieten daher ein spannendes geschmackliches Spektrum – jede Flasche beinhaltet einen neuen Geschmack. Aragh, ein klarer und ungesüsster Schnaps (dem Grappa aehnlich), hat einen Alkoholanteil von 40 – 80 % und wird im Iran am liebsten pur getrunken. Jedoch wünschen auch die Iraner einen leckeren Nachgeschmack. Hierzu werden salzige Kartoffelchips in Yogurt eingetunkt und verspeist. Nach mehreren Runden an kühlen Getränken – der Rotwein wird im Iran leider am liebsten kühl serviert – wird das Wohnzimmer zur Tanzflaeche umfunktioniert.

Die Männer sind in Jeans und Hemd gekleidet, während sich die Damen deutlich mehr in Schale geworfen haben. Die in glamorösen Abendkleidern gehüllten weiblichen Gäste bewegten sich erstaunlich geübt über die improvisierte Tanzfläche. Das edel anmutende Auftreten der jungen Iranerinnen zeichnet sich auch in deren Trinkverhalten ab. Im Gegensatz zu ihrem männlichem Pendant, hat keiner der Frauen annähernd über die eigenen physischen Grenzen hinaus Alkohol konsumiert. Genau im Gegenteil. Die uns begegneten Iranerinnen verzichten auf den Konsum von Alkhol oder gönnten sich ihn nur in kleinen Maßen Die Männer betraten tanzend den Wohnzimmerteppich, nachdem sie sich anscheinend ausreichenend mit dem Trinken des Alkohols auseinandergesetzt hatten. Um unserem Tanzstil den entscheidenen iranischen Touch zu geben, benötigte es nur einen einfachen Trick. Wir mussten unsere Zeigefinger auf die Daumen legen und beim tanzen kreisförmige Armbewegungen vor dem Körper ausführen Sichtlich zufrieden mit unser tänzerischen Leistung, waren wir nun umworben von tanzenden iranischen Prinzessinen. Bis in den frühen Morgen wurden die mit Aragh gefüllten Becher in die Höhe gereicht, Chips eingetunkt und zu moderner iranischer Musik getanzt.

Am nächsten Tag folgte eine weitere kleine Festlichkeit. Diesmal war das Publikum etwas älter und der Abend noch gesitteter. In eine an einer traumhaften Hanglage gelegene große Wohnung mit Blick über Shiraz, lud ein mitte dreißigjähriger Iraner an diesem Abend ein. Anstatt mehrerer Aragh-Runden, überraschte der Gastgeber seine Gäste mit einem großen Abendessen. Als Hauptgericht stand selbstgegrilltes Kabab auf dem Speiseplan. Jedoch handelte es sich diesmal nicht um die üblichen Hackfleischspieße, sondern um köstlich aufgespießteFilet-Steaks. Das zarte und fantastisch gewürzte Fleisch stahl zweifellos dem folgenden Schnaps vorerst die Show. Der Aragh trat erst nachdem Essen auf die Bühne. Umso feiericher wurde sein Hervortreten zelebriert. Mit einem gewaltigen „Salamati!“ (Prost!) wurde angestoßen.

IMG_8923

Der Gastgeber präsentierte uns zu dem eiskaltem Aragh eine breite Auswahl an Fruchtsäften aus seiner eigenen Saftfabrik. Sein Wohlstand gründet sich auf der Fertigung von Fruchtsaeften, welcher er in die arabische Region verkauft. In diesem Zusammenhang lernten wir auch den wohl für Iraner amüsantesten Spruch kennen: „Iran is good, Arab is gus“. Er bedeutet wörtlich, ‚Iran ist gut und Arabien ist ein Pups‘. Mit dem mehrfachen Wiedergeben dieses einfachen Satzes ergatterten wir uns auch bei zukünftige Zusammentreffen die Rolle des albernden Harlekins und die Gunst aller anwesenden Iraner.

Zwar war bei dem Saft-Herrsteller die beträchtliche Anzahl an alkoholischen Getränken welche er in seinem eigens dafür verwendeten zweitem Kühlschrank aufbewahrte erstaunlich, dennoch war er diesbezüglich nur ein Käufer und kein Produzent. Den ersten Produzenten lernten wir erst einige Tage später in Shiraz kennen. Über unseren Freund Ramtin waren wir bei ihm zum Abendessen eingeladen. Er ist als „Doktor Weingeist“ im Volksmund bekannt und braut tüchtig delikaten Shiraz Wein. Der Standort des Weingutes des jungen Entrepreneurs ist kostensparend und praktisch zugleich – der Keller in seinem Elternhaus.

IMG_0685

Während seine Mutter uns knusprige Chicken-Wings mit Gewürzen verfeinerte und den Grill vorbereitete, leisteten wir dem ‚Doktor‘ und seinen Gästen gesellschaft. In gutem Englisch durften wir über die Politik und Differenzen unserer beiden Gesellschaften diskutieren. Sehr interessiert aber auch irritiert lauschten die iranischen Ohren unseren Beschreibungen des deutschen Wohlfahrtstaats. Statt erfreut über die vielen Vorteile, sorgten sie sich über die Risiken solch eines Wohlfahrtstaates. Uns fiel es ähnlich schwer, die Ungleichheit zwischen Mann und Frau im Iran zu akzeptieren. So dürfen Mädchen schon im Alter von 13 Jahren verheiratet werden (vor einigen Jahren ging es für die jungen Mädels vom Spielplatz direkt zum Traualtar, da damals die Altersgrenze bei neun Jahren lag!), erhalten bei der gesetzlichen Erbschaft nur die Hälfte ihres Bruders und haben vor Gericht nur die halbe Aussagekraft/Stimme eines Mannes. Besonders unter Ahmadinejad sollen die Rechte der Frauen wieder in den Hintergrund gerückt sein. Eine der anwesenden jungen Mütter (25 Jahre) beklagte sich vor ihrem in nächster Nähe sitzendem Ehemann, dass sie mit 16 Jahren wirklich zu früh geheiratet hatte. Der Ehemann war jedoch auch sehr offen und unterhielt sich ebenso offen über die Rolle der Frau und gestand, dass ihr Alter wohlmöglich echt etwas zu jung war. Ergänzt jedoch, dass beide Familien sich so wunderbar verstanden hatten. Gegen 2 Uhr nachts waren die Chicken-Wings fertig zubereitet, unzählige Gläser Wein getrunken und gehaltvoll diskutiert.

Wer meint, dass sich Iraner nur nach Sonnenuntergang eines alkoholischen Getränkes bedienen irrt. Allein für diese Zwecke, so scheint es, wurden ‚private gardens‘ errichtet. Vergleichbar sind solche Gärten mit einem ausschweifend großemdeutschem Schrebergarten, inklusive Pool. Wir wurden in Shiraz zum einen bei Amir und zum anderen bei Sepeher im Garten eingeladen.

Amirs Onkel, „Mr. Vadda“, hatte uns im Park angesprochen und zum Mittagessen eingeladen. Ohne Vorankündigung tauchten wir mit Mr. Vadda bei seiner Schwester zum Mittagessen auf. Sie überspielte ihre Irritation und hieß uns herzlichst willkommen. Beim Essen lernten wir ihren introvertierten, jedoch cool wirkenden Sohn Amir kennen. Amir ist 25 Jahre alt, fährt einen schicken Hyndai Jeep seines Vaters und hat anscheinend ständig Urlaub. Direkt nach dem Mittagessen ging es in die Tiefgarage zum Jeep. Amir und sein Bruder zeigten uns stolz im Radkasten die 3 versteckten Flaschen Aragh und drehten die Musiklautsprecher auf. Ab zum Garten!

Auf dem Weg dorthin mobilisierte Amir noch ein paar Freunde, sodass wir zu acht im Garten und auf dem privaten Fussballplatz standen. Nach einer Partie Deutschland versus Iran im Fussball, „verlieren ist wie gewinnen, nur andersherum“- think positive, gönnten wir uns eine Erholung im erfrischendem Pool. Amir packte die Gitarre aus und wir mixen leckere Aragh-Cranberry-Drinks für unsere neu gewonnen iranischen Bekanntschaften.

DSC_0664

DSC_0727

Es war ein entspannter Tag und erlaubte uns von dem alltäglichem Stress in Shiraz etwas zu erholen. Jedoch schienen wir nicht die einzigen zu sein, welche sich von dem Alltag erholen wollten. Mr. Vadda tauchte einige Stunden später auf und machte es sich neben der Herdplatte gemütlich. Als er den Herd aufdrehte und im Besteckkasten herumwühlte erhofften wir innerlich, dass es wieder eine leckere iranische Spezialität zum Abendessen gibt. Stattdessen bereitete Mr. Vadda sich selbst eine kleine Delikatesse der arabischen Region vor. Auf einem sehr stark erwärmten Messer lag eine kleine graue Masse, welche er über dem Herd erhitzte. Nach einigen Minuten zog er das Messer zu seiner Nase heran und inhalierte den berauschenden Rauch. Es war Opium. Shockiert aber auch beängstigt beobachten wir gespannt die Situation. Als Mr. Vadda berauscht und langsam zu uns rüber schaute, bemerkte er unsere Blicke. Doch auch auf seine beruhigende Aussage: „This is safe. Do you want to try? You can trust me.“ lehnten wir schnell und einheitlich sein Angebot ab. Amir bestätigte uns, dass sein Onkel ein Opium-Problem hat und teilte uns mit, dass wir auf jeden Fall die Finger von diesem Teufelszeug lassen sollten. Wir ließen Mr. Vadda in der Küche zurück und verließen auch schon kurze Zeit später den Garten.

Sepeher. Sepeher ist der merkwürdigste Kautz, welchem wir im Iran begegnet sind. Er ist eine optische Mischung aus Winetoo, Bob Marley und Jimi Hendrixs. Er wohnt bei seinen wohlhabenden Eltern im Erdgeschoss, in einer Junggesellenwohnung auf ca. 30 Quadratmetern. Die Wohnung hat er sich bis vor kurzem noch mit seinem Adler Morpheus geteilt. Übrig geblieben ist jedoch nur noch ein grosser Baumstamm und ein 2 x 1.5 m Foto von Sepeher und seinem Adler. Sepeher ist mitte dreißig, mit dem Leben wohlmöglich nicht sehr zufrieden und arbeitssuchender Architekt. Halt findet er jedoch im Buddhismus und dem Konsum der verschiedensten Drogen. In unserer Gegenwart hat er zum Glück ’nur‘ Gras konsumiert, wobei er uns von seinen wilden 20er Jahren erzählt hat. Mit 21 Jahren ist er z.B. leider mit Heroin vollgedröhnt in einen Autounfall geraten und hat seit dem ein mit Metal-Implantaten verstärktes Bein. Trotz dieser ernsthaft erschreckenden Geschichten, ist Sepeher ein herzlicher Mensch, welcher uns nicht nur mehrfach einen Schlafplatz gegeboten hat, sondern auch für Susi ein Versteck, als wir vom iranischen Geheimdienst gesucht worden sind.

DSC_0706

Da Sepeher zur Zeit keinen Arbeitgeber findet, übt er seine Kreativitaet auf dem „Garten-Grundstück“ seiner Eltern aus. Dort hat er vor kurzem einen Pool errichtet und baut zur Zeit an einer überdachten Tanzfläche. Er hat zwar nur einen Bauarbeiter, der soll jedoch um so produktiver sein. Es ist ein 72 jähriger afghanischer Arbeiter, welcher eine Vielzahl an handwerklichen Fähigkeiten beherrscht. Einen Tag nachdem der Pool fertig gebaut worden ist, sind wir mit Sepeher und einem Freund dorthin gefahren. Die Gärten befinden sich alle rund 20-40 Minuten außerhalb der Stadt Shiraz.

DSC_0715

Neben dem altem afghanischen Herrn passt noch wer auf den Garden auf, und zwar Luigi. Luigi ist ein kleines Perlhuhn, welches Sepeher auf der Strasse gefunden hat. Es beherrbergt den nicht funktionstüchtigen Kamin des Wohnzimmers. Es hat dort reichlich Futter und kann durch ein Loch in der Wand raus in den Garten. Das Loch schaut aus, als hätte es Sepeher im Rausch spontan in die Wand geschlagen, um eine offene Tür für das Perlhuhn zu schaffen. Das kleine Wesen ist sehr kontaktfreudig und hat von uns Dreien Lukas auserwählt.

DSC_0750

In gewohnter Manier haben wir nach ein paar Aragh-Cocktails den Pool aufgesucht und uns von der Sonne bräunen lassen. Endlich bekommen auch mal unsere Beine etwas Sonne ab. Trotz der sehr heißen Temperaturen darf man im Iran ja nur mit langer Hose herum laufen.

DSC_0740

DSC_0729

DSC_0731

Als Abschluss des Garden-Ausflugs haben wir uns auf das Dach des Hauses zurück gezogen, um die untergehende Sonne betrachten zu können. Unschwer erkennbar haben wir nun Sepehers Juwel des Gardens erblickt: seine eigene Hanfplantage auf dem Dach des Hauses. Dieser verrückte Sepeher und diese wilden rebellischen jungen Iraner!

DSC_0791

DSC_0804

Hinterlasse einen Kommentar