Archiv | September, 2013

Die iranische Hauptstadt mit Ali

19 Sept

Nachdem wir durch die pittoreske Bergkette von Chalous in Richtung Tehran gefahren sind, haben wir am Rand der 8-Millionen-Einwohner-Stadt in der Nähe eines Parks unser Nachtlager aufgeschlagen. Bald stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Camper mit ihren Zelten auf dem Platz neben uns eigentlich Hindernisse und Verstecke einer Paintballarena waren. Als wir parkten, war es für einige Zeit sehr ruhig, sodass wir dachten, ein gutes Plätzchen gefunden zu haben, doch dann ertönte ohrenbetäubende, GameBoy-artige Musik aus Lautsprechern und beschallten die gesamte Umgebung. Zwischendurch schrie ein Ansager, um die Spielrunde abzubrechen. Danach folgte wieder Stille, bis die nächste Runde begann. Da es kurz vor Mitternacht war, hofften wir bei jeder Pause, dass es die letzte Runde war und wir Ruhe finden könnten. Alle bis auf Yorck. Er konnte nicht wiederstehen, folgte seinem Spieltrieb und kam abgekämpft wieder als die anderen schon längst trotz des Lärms eingeschlafen waren.

1 Paintballarena

Der Name der Stadt Tehran kommt aus dem Althochpersischen und bedeutet so viel wie Stadt der vielen Autos. Deshalb ließen wir Susi außerhalb an einer Metrostation stehen und fuhren mit der Bahn in die Innenstadt. Hier wurden wir natürlich wieder beäugt und skeptisch angesehen. Bald fiel uns aber auf, dass wir im Wartebereich der Frauen standen. Die kritischen Blicke wurden weniger, als wir in den Herrenbereich gingen. Im Zug selbst musste man sich keinen Halt verschaffen, da einem dieser durch die anderen zehn Personen gegeben wurde, mit denen man sich einen Quadratmeter Stehplatz teilte. In der Innenstadt angekommen, sahen wir uns zunächst den iranischen Louvre, das von außen ansprechende Nationalmuseum an. Dieses besuchten wir vielleicht aufgrund, aber letztlich trotz der einladenden Beschreibung im Reiseführer: „The presentation of treasures is less than inspired and the lack of useful explanations particularly underwhelming“.

2.1 Tehran
2 Tehran Museum

Schöner als alte Steinpötte, Keramiken und Figürchen war dann der Golestan Palast, der aus der Zeit der Qajar stammt und aus mehreren Gebäuen besteht, die sich um einen riesigen Garten reihen. Als wir uns sattgesehen hatten, zogen wir weiter durch die Straßen von Tehran, wo wir unter anderem leckeren Kaffee, eine alte deutsche Druckmaschine und junge Tehraner zum Mittagessen fanden.

4 Tehran - Palast 5 Tehran Palast 6 Tehran Palast 7 Tehran Palast 8 Tehran Palast 9 Tehran Stadt 9.1 Tehran Stadt 10 Tehran Stadt MIttagessen

Am Abend fuhren wir zu unserer Bekanntschaft Ali nach Karaj, den wir in Sarayi getroffen haben. Karaj liegt zwar nur wenige Kilometer von Tehran entfernt, jedoch standen wir auch hier wieder im Stau bis wir endlich um 21 Uhr nach viel Fragerei, unzähligen Telefonaten und drei Stunden Fahrt bei Ali im Restaurant ankamen. Hier arbeitet er erst ab 18 Uhr. Davor arbeitet er von acht bis 17 Uhr in einem Unternehmen, das mit Siemens zusammenarbeitet.

Ali

Nachdem wir also gestärkt durch die beste Pizza Irans mit Ali im Auto seines Freundes eine Runde durch Karaj gedreht hatten, ging es los auf den „Bam e Karaj“, was so viel wie „Dach von Karaj“ bedeutet. Susi wurde auf dem Hof eines Bekannten, der eine Waschanlage betreibt, abgestellt. Es Gemeint sind die Bergstraßen, auf denen wir auf dem Weg nach Chalous hergefahren waren. Hierher fuhren wir mit offenen Fenstern und lauter Musik in dem Auto dessen Marke in Europa keiner kennt. Zu dem, was wir auf der Hinfahrt als jugendlichen Übermut belächelt hatten, wurden wir nun selbst aufgefordert: In den Tunnel musste die Musik bis zum Anschlag aufgedreht und wild aus dem Fenster geschrien werden. Nach einer Stunde (!) kamen wir zum großen Bergstausee, wo auch anderen Autos parkten. Wir fanden Jugendliche hinter den Absperrungen mit einer Wasserpfeife und Getränken. Sie baten uns zu sich und hier bekamen wir das erste Mal iranischen Alkohol angeboten. Geschmacklich lag das Produkt, das aus einer beschrifteten 1,5 Liter Plastikflasche verabreicht wurde, zwischen Apotheke, Fensterreiniger und Grillanzünder. Nach dieser gustatorischen Offenbarung begnügten wir uns vorerst mit der Wasserpfeife und alkoholfreiem Bier. Doch immer wieder mussten wir die Plastikflasche ansetzen, weil unsere Gönner erzählt bekamen, dass wir aus dem Mekka des Alkohols kamen. Als die Flasche leer war, wurde zum Tanz gebeten. Ähnlich wie in Sarayi kam die Musik aus den Autos. CDs wurden ausgetauscht und neben der Straße getanzt. Vorbeifahrende Autos hupten und drehten die Musik ebenfalls lauter. Natürlich blieb dieses exzessive Spektakel (zwei Autos, sieben tanzende Männer) den Ordnungshütern nicht unentdeckt. Sofort wurde die Musik ausgemacht und jeder von uns zum Polizeiwagen zitiert. Die Polizisten selbst blieben sitzen. Zwischen den Knien des Beifahrers klemmte ein Maschinengewehr. Tanzen ist in der Öffentlichkeit im Iran streng verboten. Deshalb wurden wir verwarnt und bekamen eine kleine Geldstrafe.

Obwohl die Musik kurz darauf wieder angemacht wurde, machten wir uns bald auf den Weg, da unser Reiseführer Ali uns nicht in Schwierigkeiten bringen wollte. Einer der Tänzer, den wir zurückgelassen hatten, war nach Aussagen seiner Freunde „crazy“. Er hatte sich von seiner Frau vor kurzem scheiden lassen, was im Iran erheblich schwieriger sein soll als in Deutschland. Seine zierliche Art und das ultra-körperbetonte Shirt sowie die Nähe, die er zu einem der gleich gekleideten Jungs suchte, vermittelten uns Europäern ein klares Bild. Hinzu kam, dass er uns ständig bat, ihn am nächsten Tag in seinem Herrensalon zu besuchen. Wieder im Auto auf der Bergstraße fragten wir Ali deshalb, ob er die Jungs kannte und ob ihm aufgefallen sei, dass er anders wäre. Er meinte, er habe sie noch nie zuvor gesehen und ihm sei auch nichts aufgefallen. Wir ließen nicht locker und konkretisierten die Frage. Doch als wir fragten, ob er auch glaube, dass er homosexuell sein könnte, sagte Ali entschieden, dass der junge Mann es nicht sei und dass es so etwas im Iran auch nicht gäbe. Klingt einleuchtend, wenn Homosexualität mit der Todesstrafe bestraft wird.

Auf einem anderen Straßenabschnitt – wir fuhren immer noch die „Straße der 1000 Kurven“ in Richtung Chalous – wurden die Straßenränder von parkenden Autos und den dazugehörigen Menschen gesäumt. Hier schien der Bam e Karaj wesentlich etablierter, da es Stände gab, die Kaljan (Wasserpfeife) verliehen, Getränke verkauften und zudem die Polizei allgegenwärtig war. Die Aussicht war gigantisch. Vor uns erstreckte sich Karaj und weiter entfernt sahen wir auch Tehran bei Nacht. Hier treffen sich die jungen Leute aus Karaj, um unter sich, aber dennoch durch die vielen Kontrollen nicht wirklich, ausgelassen zu feiern. Wir mischten uns unter die Leute und begannen uns zu unterhalten. Lukas zeigte Interesse für ein Motorrad und wurde sofort auf eine Spritztour mitgenommen. Das Gerät hatte deutlich mehr als die für Zivilpersonen im Iran zugelassenen 150ccm und war allein deshalb schon eine Attraktion. Nach der Ausfahrt wollten die Damen, die den Motorradbesitzer begleiteten, noch ein Foto mit Lukas machen. Glücklicherweise war ein iPhone zur Hand, um diesen unvergesslichen Moment festzuhalten.

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Um nach so viel Aufregung etwas zu entspannen, führte uns Ali gemeinsam mit den neuen Bekanntschaften vom Straßenfest in ein Restaurant, wo wir Tee und Kaljan bestellten. Unser kleiner Reiseführer und Casanova versuchte uns mit einigen Damen zu verkuppeln und gab Ratschläge, wie man iranische Frauen am besten anzusprechen hatte. Hier bekam Lukas auch seinen iranischen Namen „Arash“, nach einem alten Krieger mit Bogen, den wir einen Tag später auch treffen sollten. Die Heimreise hinunter in die Stadt traten wir aufgeteilt in den Autos unserer neuen Freunde an. Die Musik wurde wieder aufgedreht, Kopftücher vom Kopf geschoben, gejolt und getanzt (ja, das geht auch im Auto). Wenn die Polizei vorbeifuhr, nahmen natürlich wieder alle in Windeseile ihre Plätze ein, rückten die Kopftücher zurecht und machten die Musik leiser.

Viele der gerade jüngeren Frauen tragen das Kopftuch nur bis zur Hälfte des Kopfes und ziehen es erst „ordentlich“ auf wenn die Polizei oder die Sittenwächter kommen. Manchmal lassen sie es zufällig herunterrutschen und vergessen dann, es wieder hoch zu ziehen, bis sie von einer (meist älteren) Frau darauf aufmerksam gemacht werden. Generell gibt es eine Menge Dinge im Iran, die von der Bevölkerung nicht gesetzeskonform gehandhabt werden. Beispielsweise fragen uns junge Iraner, ob sie uns bei Facebook als Freund hinzufügen könnten, obwohl Facebook vom Staat eigentlich blockiert ist und nur über (nicht ganz legale) Umwege erreichbar ist. Viele Iraner sehen zudem über Satellit türkisches oder europäisches Fernsehen. Dass wir an Mautstationen häufig mit Pistazienkeksen oder Baklawa zahlen, stört die weniger Meter entfernt stehende Polizei auch nicht. Auch die privat betriebenen Brau-, Destillier- und Kelterarbeiten mancher Iraner gehören natürlich zu den verbotenen Künsten.

Zurück zur nächtlichen Autofahrt. Als wir diverse Leute nach Hause gefahren hatten, stiegen wir wieder in das Auto von Alis Freund und fuhren nach Karaj. Wir weckten noch kurz den Bekannten auf, um unsere Schlafsäcke aus dem auf dem Hof parkenden Büsschen zu holen und fuhren zu einer Wohnung von Alis Eltern, die gerade leer stand und für seine Schwester renoviert wurde.

Autofahrt

Ausgeschlafen und geduscht(!) ging es dann in den reichen Norden Tehrans. Hier wohnt die Haute Volée, da die Luft etwas kühler und nicht zu stark verschmutzt ist wie im Zentrum. Vielleicht liegt das an den vielen modernen Autos, die hier im Vergleich zu den Trucks aus Großvaters Zeiten im Zentrum umherfahren. Natürlich war es diese Gegend, in der zur Zeit der Pahlavi eine repräsentative Residenz erbaut wurde, welche das Ziel unseres Ausfluges war. Das über 100ha große Sa’d Abad Anwesen wird zwar immer noch militärisch bewacht, ist aber mittlerweile ein Museumskomplex, den viele Iraner gern besuchen. Eine Hauptattraktion ist der 70m2 große und unglaublich fein geknüpfte Teppich im Saal des Grünen Palasts. Das Gebäude, in dem bereits Staatsoberhäupter aller Herren Länder empfangen wurden, ist überhäuft mit Luxus. Die tausenden kleinen Spieglein an den Wänden oder die mit italienischem Leder bespannte Decke im Speisesaal musste sie genauso ins Staunen gebracht haben wie uns. Die Küche befand sich in einem eigenen Haus und sie war von vorn bis hinten mit deutschen Küchenmaschinen- und geräten ausgestattet. Auch das Porzellan, von dem die hohen Herren speisten, kam aus Deutschland. Als wir uns vom Prunk und Protz der Residenz sattgesehen hatten, fuhren wir in das Zentrum der Nordstadt. Hier verabschiedeten wir uns schweren Herzens von Ali, unserem Freund und Reiseführer, der uns in den kommenden Tagen noch ab und zu anrufen und sich nach unserem Wohlbefinden erkundigen wird.

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Kaspisches Meer

11 Sept

Unsere Mitreisende entzückt nicht nur durch ihr elegantes Aussehen, sondern auch durch ihr feuriges Temperament. Wie bei manch anderen uns eng vertrauten weiblichen Wesen, wirkt auch das Gemüt unserer Dame bei stressigen Situationen leicht gereizt. Bockig wie ein sylter Lamm, von dem die Laufbereitschaft eines Steinbocks bei einer Passüberquerung abverlangt wird, sträubte sich Susi gegen den endlos langen Anstieg des Elburs-Gebirges. Kleine Zärtlichkeits- und Erholungspausen wurden eingeräumt, um Susis Unbehagen zu verringern. Motorjaulend meisterte Susi die letzten Kilometer, ohne sich von den überholenden Fahrradfahrern beeindrucken zu lassen. In der Ruhe liegt die Kraft – treu nach der Idee der Entschleunigung oder des „Slow Travel “. Hupend vor Freude erreichten wir den Gipfel und blickten zu viert auf den ewig langen Anstieg zurück.

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Vom entgegenkommenden kalt salzigem Wind motiviert, rasten wir auf den größten See der Welt, zehnmal so groß wie unser geliebter Bodensee, zu. Eine kleine Straße zu einem Badestrand war schnell gefunden. Wir wurden nur durch ein paar Meter feinen Sand, einen rostigen Mülleimer und Azlan vom Meer getrennt. Azlan war ein gut gebräunter, wohl geformter und stark behaarter älterer Mann, welcher am liebsten Wasserpfeife rauchend in seinem Campingstuhl entspannte. Gemächlich erhoben sich all seine ca. 110 Kilogramm und bewegten sich auf uns zu. Nach einem festen Händeschütteln stellte er sich vor und machte kurz klar, wer hier das Sagen am Strand hat. Unsere vollbärtige neue Bekanntschaft war für die Vergabe der Parkplätze, die Bereitstellung von Duschmöglichkeiten und die Vermittlung von Wasserpfeifen verantwortlich. Azlan war der Chef.

 

Azlan sorgte dafür, dass unser Auto seinen Sonnenplatz mit einem im Schatten geparkten Auto tauschte und bestellte uns als Willkommensgeschenk eine mit Apfel-Tabak präparierte Wasserpfeife. Die Pfeife war geraucht, ein paar Tassen Chai getrunken, die Sonne gewandert und der See immer noch nicht von uns getestet. Ab ins Wasser!

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Beim hineintapsen ins Wasser bemerkten wir, dass wir nicht die einzigen badelustigen Lebewesen an diesem Strand waren. In ungefähr 200 Metern Entfernung erblickten wir eine seltene Gattung der kaspischen Königspinguine. Menschengroß und in schwarzen Fracks glitten sie ins Wasser wie ihre arktischen Artgenossen. Wir wollten in die Fußstapfen des Evolutions-Theoretikers Charles Darwin treten und diese uns unbekannte Spezies genauer unter die Lupe nehmen. Doch ein großes Stopp-Schild, eine kleine Trennwand und ein verärgerter Aufschrei von Azlan beendeten unsere kleine Forschungsexpedition.

Wir vergaßen das Expeditionsziel und widmeten uns dem Fangenspielen mit einheimischen Jungs in dem erstaunlich trüben Wasser. Die unverhältnismäßig hohe Anzahl an stark behaarten Oberkörpern lies uns wundern, weshalb nur Männer im See waren und wo es die Damen zum Baden hin bewog. Das Fehlen der weiblichen Badegäste und das Vorhandensein extrem ausgewachsener Pinguine verwirrte und so sehr, dass wir beschlossen den Strand vorerst zu verlassen.

 

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Das Kaspische Meer ist nicht nur wegen seiner Größe weltweit bekannt, sondern auch auf Grund ihrer Fischspezialität. Präziser, wegen der rundlichen Nachkommen einer besonderen Fischart. Circa 95% des schwarzen Goldes des Störs stammen aus dem kaspischen Meer. Sie werden an die entlegensten Feinkostläden, Hotels oder Chalets zu exorbitanten Preisen exportiert. Mit Hilfe einer entworfenen kubischen Skizze alá Picasso fanden wir zügig ein Fischgeschäft, welches frischen Kaviar verkaufte. Satte 100 Gramm gönnten wir uns. Kosten: 5€. Der Gedanke für 50€ ein Kilogramm Stör-Kaviar mitzubringen wurde leider wegen der schlechten Umsetzbarkeit (die Problematik der Kühlung) verworfen. Tut uns leid, Lara.

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Weitere Highlights sollten folgen. Das erste galt unseren gut genährten Bäuchen. Um nicht weiteren unnötigen Ballast anzuhäufen, gönnten wir uns eine quälend lange Sporteinheit in der Nachmittagssonne am Strand. Nach ein paar Sprints und ein paar gejoggten Kilometern kehrten wir schwer atmend zurück in Azlans Revier. Breit lächelnd winkte der kugelrunde uns zu und deutete auf die noch unbenutzte Wasserpfeife neben ihm. Wir lehnten winkend ab und widmeten uns nun den Kraftübungen. Die mitzählenden Blicke der anderen Strandbesucher kitzelte bei jedem von uns sicher zwei drei extra Liegestütz, Sit-ups, etc. heraus. Fix und fertig wie ein Lachs nach seiner Wanderung taumelten wir ins lauwarme Wasser.

Gut gelaunt und frisch geduscht, erreichten wir unser schattiges Plätzchen und bereiteten die Weiterfahrt vor. Doch nach Tehran sollte es heute nicht mehr gehen…

Ein kahlköpfiger Motorradfahrer bot uns stattdessen ein Abendessen und eine Übernachtung bei ihm Zuhause an. Wir haben uns selbstverständlich so verhalten, wie man sich verhält, wenn ein unbekannter Biker einem anbietet ihm zu folgen: wir haben zugesagt. Doch statt einer bis unter die Zähne bewaffneten Motorradgang erwartete uns am Stadtrand eine ansprechende Villa mit einem großen Gemüse- und Obstgarten. Die Hausherren waren die Eltern des vermeintlichen Hells-Angel-Bikers. Der Motorradfahrer, Aref, wohnte hier gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen Eltern. Mit den Damen hatte man bei der Begrüßung zwar nicht die Hände geschüttelt, jedoch legte Arefs Ehefrau, nach ein paar Stunden ihr Kopftuch ab und wechselte ihre eher konservative Kleidung. Sie lief nun wie eine moderne Europäerin mit offenem Haar, gutsitzendem Top und einer schicken Jeans durch das Anwesen. Während in der Öffentlichkeit die meisten Damen eher schlicht und konservativ gekleidet (Kopftuch-Pflicht) sind, wird Zuhause das angelegt, was einem lieb ist. Dies erklärt auch das Phänomen, dass in den Läden und Kleidungsmärkten größtenteils bunte, moderne und teilweise anzügliche Kleidungsstücke zum Verkauf stehen, obwohl diese Kleidung nicht in der Öffentlichkeit zur Schau getragen werden darf.

 

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Aus der Felsenstadt Kandovan stammt angeblich der beste Honig des Landes, den wir als Gastgeschenk mitgebracht haben. Gegen unseren Protest aus Bescheidenheit bekamen wir auch ein Geschenk. Selbstangebauten Tee und eine Thermoskanne, um den Tee warm zu halten. Während wir mit Aref zu Abend speisten – es gab Reis, Lammkotelette, Gemüse, Brot und Käse – waren die Hausherren mit der Vorbereitung der Schlafplätze beschäftigt. Liebevoll richtete die Mutter drei Betten her, während ihr Ehemann am Fernsehsatelliten einen Sender zu suchen schien. Stolz wie Oskar, präsentierte der ältere, jedoch sehr muskulöse, Herr uns sein erbrachtes Werk: ZDF.

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Zwar sind Internationale Satelliten im Iran verboten, doch wie Facebook oder Alkohol scheint jeder darauf Zugriff zu haben. Doch wie wir vor kurzem erfahren haben, überlegt die Regierung, beziehungsweise Rohani, das Land zu liberalisieren, den Kontakt zum Westen zu pflegen und die Internetzensur zurückzufahren, welches uns bei unserer Blog-Arbeit auch sehr helfen würde. Die Iraner, mit denen wir ins Gespräch gekommen sind, scheinen dies sehr zu begrüßen. Wir sind gespannt.

Tabriz

3 Sept

Tabriz war die erste größere Stadt, die wir im Iran besucht haben. Zunächst wurde ein Parkplatz für Susi gefunden. Danach galt es, unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen. Unser Magen musste gefüllt werden und als wir an einer Bäckerei vorbeiliefen, zog uns der Duft der süßen Leckereien magisch hinein und der nette Inhaber bediente uns sofort. Ein anderes Grundbedürfnis, welchem wir nachkommen wollten, war das Salz, das wir trotz unserer Katzenwäsche immer noch von unserem Bad im Urmia-See auf unseren Körpern und in den Haaren spürten, abzuwaschen. Das einzige Hamam der Stadt öffnete jedoch erst um 21 Uhr, sodass wir den direkt darüber befindlichen Friseursalon aufsuchten.

Dem Barbier, einem Mann der alten Schule, legten wir unsere gesalzten Köpfe einer nach dem anderen ins Becken. Bei Lukas Haaren war er sichtlich verwirrt, arbeitete aber dennoch professionell. Yorck bekam eine neue Frisur, die er sich vorher auf einem im Salon hängenden Bild ausgesucht hatte. Max und Lukas genossen die Menschwerdung in Form einer Rasur mit einem Rasiermesser.

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Danach schlenderten wir frisch und wohlriechend durch die Basar-Hallen, wo uns ein älterer Herr auf gebrochenem Deutsch ansprach und fragte, ob er uns helfen könne. Nicht dass wir sonst nicht angesprochen werden, nein, wir werden alle zwanzig Meter angesprochen, ausgefragt und/oder begleitet. Häufig wird die Frage gestellt, was wir und die Menschen in Deutschland vom Iran halten.

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Zurück zum größten überdachten Basar der Welt, wo wir dank unseres sprachbegabten Gefährten zielgerichtet und informiert unterwegs waren. Wir kauften Tee, Datteln, Safran und andere Gewürze. Die Klassiker wie Teppich- und Stoffhandel haben wir natürlich nicht ausgelassen. Im Vergleich zu einem Basar in Istanbul ist der in Tabriz deutlich größer und nicht auf Touristen ausgerichtet. Das spürten wir sehr schnell an den Preisen und der Zurückhaltung der Verkäufer.

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Auf Empfehlung eines Mitarbeiters des staatlichen Touristenbüros, der uns in der Nähe des Basars (wie hätte es anders sein sollen) von der Seite ansprach, fuhren wir ca. eine Stunde nach Kandovan. Die Attraktion, die viele Iraner zur Zeit der Ferien (der Ramadan ist gerade zu Ende gewesen) in die kühle Bergregion verschlägt, sind die in den weichen Stein gehauenen Behausungen. Eine Stadt im Fels, wie es sie in Kappadokien in Zentral-Anatolien gibt, nur dass die Stadt Kandovan tatsächlich von Menschen bewohnt wird.

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Ihren größten Teil des Einkommens erwirtschaften die Einwohner jedoch mit den (inländischen) Touristen, die ihnen den unwiderstehlich guten Honig, getrocknete Früchte oder selbstgeknüpfte Teppiche und Taschen abkaufen. Auch wir konnten Honig und Früchten nicht widerstehen und genossen, nachdem wir beim Erklimmen der Stadt wieder Foto-Freunde gefunden hatten, eine Kaljan (Wasserpfeife) und Cay (Tee).


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EXKURS:

Jetzt noch ein kleiner Exkurs zu den paradiesischen iranischen Preisen:

-Fahrt auf dem Damm über den Urmia-See: (Kassierer in der Mautstation) „From Germany? Holidays? It’s free for you, go!“

-einen Tag lang parken in Tabriz: 12,5 Cent

-Diesel (von Tankwarten abgeschwatzt und eigentlich nicht frei für uns erhältlich): 8 Cent/Liter

-Kabab-Abendessen für drei Personen mit sechs Fleischspießen, gegrilltem Gemüse, Unmengen an Brot, Joghurt- und Soft-Drinks: knapp 8 Euro

-Frühstücksgebäck für uns drei aus einer Bäckerei mit einem kommunikativen Inhaber: geschenkt

-dreimal Haare waschen, einmal Haare schneiden, zweimal Rasur: Der Barbier wollte uns alles schenken aber wir haben darauf bestanden, den vollen Preis (7 Euro) zu zahlen

-eine iranische prepaid-Karte mit 2,5 Euro Guthaben: 5 Euro

-ein Kilogramm vom besten Tee, den der Herr auf dem Basar verkauft: 1,5 Euro