Nachdem wir durch die pittoreske Bergkette von Chalous in Richtung Tehran gefahren sind, haben wir am Rand der 8-Millionen-Einwohner-Stadt in der Nähe eines Parks unser Nachtlager aufgeschlagen. Bald stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Camper mit ihren Zelten auf dem Platz neben uns eigentlich Hindernisse und Verstecke einer Paintballarena waren. Als wir parkten, war es für einige Zeit sehr ruhig, sodass wir dachten, ein gutes Plätzchen gefunden zu haben, doch dann ertönte ohrenbetäubende, GameBoy-artige Musik aus Lautsprechern und beschallten die gesamte Umgebung. Zwischendurch schrie ein Ansager, um die Spielrunde abzubrechen. Danach folgte wieder Stille, bis die nächste Runde begann. Da es kurz vor Mitternacht war, hofften wir bei jeder Pause, dass es die letzte Runde war und wir Ruhe finden könnten. Alle bis auf Yorck. Er konnte nicht wiederstehen, folgte seinem Spieltrieb und kam abgekämpft wieder als die anderen schon längst trotz des Lärms eingeschlafen waren.
Der Name der Stadt Tehran kommt aus dem Althochpersischen und bedeutet so viel wie Stadt der vielen Autos. Deshalb ließen wir Susi außerhalb an einer Metrostation stehen und fuhren mit der Bahn in die Innenstadt. Hier wurden wir natürlich wieder beäugt und skeptisch angesehen. Bald fiel uns aber auf, dass wir im Wartebereich der Frauen standen. Die kritischen Blicke wurden weniger, als wir in den Herrenbereich gingen. Im Zug selbst musste man sich keinen Halt verschaffen, da einem dieser durch die anderen zehn Personen gegeben wurde, mit denen man sich einen Quadratmeter Stehplatz teilte. In der Innenstadt angekommen, sahen wir uns zunächst den iranischen Louvre, das von außen ansprechende Nationalmuseum an. Dieses besuchten wir vielleicht aufgrund, aber letztlich trotz der einladenden Beschreibung im Reiseführer: „The presentation of treasures is less than inspired and the lack of useful explanations particularly underwhelming“.
Schöner als alte Steinpötte, Keramiken und Figürchen war dann der Golestan Palast, der aus der Zeit der Qajar stammt und aus mehreren Gebäuen besteht, die sich um einen riesigen Garten reihen. Als wir uns sattgesehen hatten, zogen wir weiter durch die Straßen von Tehran, wo wir unter anderem leckeren Kaffee, eine alte deutsche Druckmaschine und junge Tehraner zum Mittagessen fanden.
Am Abend fuhren wir zu unserer Bekanntschaft Ali nach Karaj, den wir in Sarayi getroffen haben. Karaj liegt zwar nur wenige Kilometer von Tehran entfernt, jedoch standen wir auch hier wieder im Stau bis wir endlich um 21 Uhr nach viel Fragerei, unzähligen Telefonaten und drei Stunden Fahrt bei Ali im Restaurant ankamen. Hier arbeitet er erst ab 18 Uhr. Davor arbeitet er von acht bis 17 Uhr in einem Unternehmen, das mit Siemens zusammenarbeitet.
Nachdem wir also gestärkt durch die beste Pizza Irans mit Ali im Auto seines Freundes eine Runde durch Karaj gedreht hatten, ging es los auf den „Bam e Karaj“, was so viel wie „Dach von Karaj“ bedeutet. Susi wurde auf dem Hof eines Bekannten, der eine Waschanlage betreibt, abgestellt. Es Gemeint sind die Bergstraßen, auf denen wir auf dem Weg nach Chalous hergefahren waren. Hierher fuhren wir mit offenen Fenstern und lauter Musik in dem Auto dessen Marke in Europa keiner kennt. Zu dem, was wir auf der Hinfahrt als jugendlichen Übermut belächelt hatten, wurden wir nun selbst aufgefordert: In den Tunnel musste die Musik bis zum Anschlag aufgedreht und wild aus dem Fenster geschrien werden. Nach einer Stunde (!) kamen wir zum großen Bergstausee, wo auch anderen Autos parkten. Wir fanden Jugendliche hinter den Absperrungen mit einer Wasserpfeife und Getränken. Sie baten uns zu sich und hier bekamen wir das erste Mal iranischen Alkohol angeboten. Geschmacklich lag das Produkt, das aus einer beschrifteten 1,5 Liter Plastikflasche verabreicht wurde, zwischen Apotheke, Fensterreiniger und Grillanzünder. Nach dieser gustatorischen Offenbarung begnügten wir uns vorerst mit der Wasserpfeife und alkoholfreiem Bier. Doch immer wieder mussten wir die Plastikflasche ansetzen, weil unsere Gönner erzählt bekamen, dass wir aus dem Mekka des Alkohols kamen. Als die Flasche leer war, wurde zum Tanz gebeten. Ähnlich wie in Sarayi kam die Musik aus den Autos. CDs wurden ausgetauscht und neben der Straße getanzt. Vorbeifahrende Autos hupten und drehten die Musik ebenfalls lauter. Natürlich blieb dieses exzessive Spektakel (zwei Autos, sieben tanzende Männer) den Ordnungshütern nicht unentdeckt. Sofort wurde die Musik ausgemacht und jeder von uns zum Polizeiwagen zitiert. Die Polizisten selbst blieben sitzen. Zwischen den Knien des Beifahrers klemmte ein Maschinengewehr. Tanzen ist in der Öffentlichkeit im Iran streng verboten. Deshalb wurden wir verwarnt und bekamen eine kleine Geldstrafe.
Obwohl die Musik kurz darauf wieder angemacht wurde, machten wir uns bald auf den Weg, da unser Reiseführer Ali uns nicht in Schwierigkeiten bringen wollte. Einer der Tänzer, den wir zurückgelassen hatten, war nach Aussagen seiner Freunde „crazy“. Er hatte sich von seiner Frau vor kurzem scheiden lassen, was im Iran erheblich schwieriger sein soll als in Deutschland. Seine zierliche Art und das ultra-körperbetonte Shirt sowie die Nähe, die er zu einem der gleich gekleideten Jungs suchte, vermittelten uns Europäern ein klares Bild. Hinzu kam, dass er uns ständig bat, ihn am nächsten Tag in seinem Herrensalon zu besuchen. Wieder im Auto auf der Bergstraße fragten wir Ali deshalb, ob er die Jungs kannte und ob ihm aufgefallen sei, dass er anders wäre. Er meinte, er habe sie noch nie zuvor gesehen und ihm sei auch nichts aufgefallen. Wir ließen nicht locker und konkretisierten die Frage. Doch als wir fragten, ob er auch glaube, dass er homosexuell sein könnte, sagte Ali entschieden, dass der junge Mann es nicht sei und dass es so etwas im Iran auch nicht gäbe. Klingt einleuchtend, wenn Homosexualität mit der Todesstrafe bestraft wird.
Auf einem anderen Straßenabschnitt – wir fuhren immer noch die „Straße der 1000 Kurven“ in Richtung Chalous – wurden die Straßenränder von parkenden Autos und den dazugehörigen Menschen gesäumt. Hier schien der Bam e Karaj wesentlich etablierter, da es Stände gab, die Kaljan (Wasserpfeife) verliehen, Getränke verkauften und zudem die Polizei allgegenwärtig war. Die Aussicht war gigantisch. Vor uns erstreckte sich Karaj und weiter entfernt sahen wir auch Tehran bei Nacht. Hier treffen sich die jungen Leute aus Karaj, um unter sich, aber dennoch durch die vielen Kontrollen nicht wirklich, ausgelassen zu feiern. Wir mischten uns unter die Leute und begannen uns zu unterhalten. Lukas zeigte Interesse für ein Motorrad und wurde sofort auf eine Spritztour mitgenommen. Das Gerät hatte deutlich mehr als die für Zivilpersonen im Iran zugelassenen 150ccm und war allein deshalb schon eine Attraktion. Nach der Ausfahrt wollten die Damen, die den Motorradbesitzer begleiteten, noch ein Foto mit Lukas machen. Glücklicherweise war ein iPhone zur Hand, um diesen unvergesslichen Moment festzuhalten.
Um nach so viel Aufregung etwas zu entspannen, führte uns Ali gemeinsam mit den neuen Bekanntschaften vom Straßenfest in ein Restaurant, wo wir Tee und Kaljan bestellten. Unser kleiner Reiseführer und Casanova versuchte uns mit einigen Damen zu verkuppeln und gab Ratschläge, wie man iranische Frauen am besten anzusprechen hatte. Hier bekam Lukas auch seinen iranischen Namen „Arash“, nach einem alten Krieger mit Bogen, den wir einen Tag später auch treffen sollten. Die Heimreise hinunter in die Stadt traten wir aufgeteilt in den Autos unserer neuen Freunde an. Die Musik wurde wieder aufgedreht, Kopftücher vom Kopf geschoben, gejolt und getanzt (ja, das geht auch im Auto). Wenn die Polizei vorbeifuhr, nahmen natürlich wieder alle in Windeseile ihre Plätze ein, rückten die Kopftücher zurecht und machten die Musik leiser.
Viele der gerade jüngeren Frauen tragen das Kopftuch nur bis zur Hälfte des Kopfes und ziehen es erst „ordentlich“ auf wenn die Polizei oder die Sittenwächter kommen. Manchmal lassen sie es zufällig herunterrutschen und vergessen dann, es wieder hoch zu ziehen, bis sie von einer (meist älteren) Frau darauf aufmerksam gemacht werden. Generell gibt es eine Menge Dinge im Iran, die von der Bevölkerung nicht gesetzeskonform gehandhabt werden. Beispielsweise fragen uns junge Iraner, ob sie uns bei Facebook als Freund hinzufügen könnten, obwohl Facebook vom Staat eigentlich blockiert ist und nur über (nicht ganz legale) Umwege erreichbar ist. Viele Iraner sehen zudem über Satellit türkisches oder europäisches Fernsehen. Dass wir an Mautstationen häufig mit Pistazienkeksen oder Baklawa zahlen, stört die weniger Meter entfernt stehende Polizei auch nicht. Auch die privat betriebenen Brau-, Destillier- und Kelterarbeiten mancher Iraner gehören natürlich zu den verbotenen Künsten.
Zurück zur nächtlichen Autofahrt. Als wir diverse Leute nach Hause gefahren hatten, stiegen wir wieder in das Auto von Alis Freund und fuhren nach Karaj. Wir weckten noch kurz den Bekannten auf, um unsere Schlafsäcke aus dem auf dem Hof parkenden Büsschen zu holen und fuhren zu einer Wohnung von Alis Eltern, die gerade leer stand und für seine Schwester renoviert wurde.
Ausgeschlafen und geduscht(!) ging es dann in den reichen Norden Tehrans. Hier wohnt die Haute Volée, da die Luft etwas kühler und nicht zu stark verschmutzt ist wie im Zentrum. Vielleicht liegt das an den vielen modernen Autos, die hier im Vergleich zu den Trucks aus Großvaters Zeiten im Zentrum umherfahren. Natürlich war es diese Gegend, in der zur Zeit der Pahlavi eine repräsentative Residenz erbaut wurde, welche das Ziel unseres Ausfluges war. Das über 100ha große Sa’d Abad Anwesen wird zwar immer noch militärisch bewacht, ist aber mittlerweile ein Museumskomplex, den viele Iraner gern besuchen. Eine Hauptattraktion ist der 70m2 große und unglaublich fein geknüpfte Teppich im Saal des Grünen Palasts. Das Gebäude, in dem bereits Staatsoberhäupter aller Herren Länder empfangen wurden, ist überhäuft mit Luxus. Die tausenden kleinen Spieglein an den Wänden oder die mit italienischem Leder bespannte Decke im Speisesaal musste sie genauso ins Staunen gebracht haben wie uns. Die Küche befand sich in einem eigenen Haus und sie war von vorn bis hinten mit deutschen Küchenmaschinen- und geräten ausgestattet. Auch das Porzellan, von dem die hohen Herren speisten, kam aus Deutschland. Als wir uns vom Prunk und Protz der Residenz sattgesehen hatten, fuhren wir in das Zentrum der Nordstadt. Hier verabschiedeten wir uns schweren Herzens von Ali, unserem Freund und Reiseführer, der uns in den kommenden Tagen noch ab und zu anrufen und sich nach unserem Wohlbefinden erkundigen wird.
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